André Kertész

Die Bedeutung des Fotografen André Kertész

André KertészDer 1894 in Budapest geborene Fotograf André Kertész kaufte sich bereits 1912, als achtzehnjähriger Buchhalter, seinen ersten kleinen Fotoapperat, eine Ica 4,5 x 6 cm, um Menschen zu fotografieren. Seine Kamera bezeichnete er einst als ein Werkzeug, mit dessen Hilfe alles um ihn herum sinnvoll werde. Im Verweilen, in der nachdenklichen Betrachtung, in beschaulichen und stillen Umgebungen konnte er seine fast nebensächlichen, alltäglichen und unbedeutend scheinenden Motive finden. Kertész hielt sich folgerichtig für einen ‚ewigen Anfänger‘, der die Welt stets neu entdecken wollte. »Seine Kinderaugen«, so äußerte sich ein Freund über Kertész, »sehen alle Dinge zum erstenmal«. Die Fotografie verstand Kertész nicht als bloßes Mittel der Dokumentation, nicht als eine objektive Darstellung städtischer und sozialer Wirklichkeit, vielmehr ging es ihm um subjektive Sichtweisen, um die eigene Interpretation dessen, was er sah.

Mit Ausbruch des ersten Weltkrieges, 1914, wurde Kertész zur österreichen-ungarischen Armee einberufen. Seine Kamera, die er neben einem Vorrat an Platten im Tornister verstaute, war immer dabei. So entstand eine Art Kriegstagebuch mit Truppenbewegungen oder auch einzelnen Bildern von sich verabschiedenden Soldaten oder unterschiedlichen Situationen des Kriegsalltags. Nachdem seine in den zwanziger Jahren angefertigten Bilder viel Aufmerksamkeit erhielten, wurden erste Ausstellungen veranstaltet. Seine Aufnahmen wurden 1917 ausgezeichnet, einige  davon erschienen mehrmals im ungarischen Magazin ›Erdekes Ujság‹. Die Bilder entzogen sich zwar einer genauen Klassifizierung, hatten offenkundig aber alle etwas gemeinsam: Die Fotografien waren authentisch, nicht gestellt und zeigten stets zufällige, fast beiläufige Motive.

1925 siedelte André Kertész nach Paris über, wo er seine Karriere als Berufsfotograf begann und aufgrund der noch schlechten Sprachkenntnisse hauptsächlich mit seinen Landsleuten und Künstlern im Café du Dome verkehrte. Mit deren Hilfe war es möglich, einige seiner Fotografien an damals weltweit führende deutsche Illustrierte zu verkaufen. Immerhin erfuhren die Zeitschriften in den Zwanziger Jahren dank der Fotografie einen enormen Aufschwung. Nach und nach gelang es, dass Kertész seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf von Fotografien bestreiten konnte. Auch konnte er in dieser Zeit seinen universellen, eigenwilligen und persönlichen Stil entwickeln. Dieser Stil unterschied sich deutlich von der vorherrschenden ›Neuen Sachlichkeit‹. Seine Stärken lagen in seinem ausgeprägten Gespür für flüchtige, eher zufällige Erscheinungen.

»Er verlieh dem Genre der Sozialdokumentation einen poetischen Unterton und prägte die Fotografie der 1950er Jahre.« (Frizot, 1998, S. 572)

Schon bald erschienen viele seiner Aufnahmen in dem seit 1928 erschienen Pariser Wochenmagazin ›VU‹ – übrigens neben den Bilder von Man Ray, Germaine Krull, Tabard oder Brassai. Die Bilder von André Kertész erschienen inzwischen auch in Zeitschriften wie ›Variétés‹, ›Das illustrierte Blatt‹, ›Das Kunstblatt‹, ›Der Querschnitt‹, ›Uhu‹ oder ›Die Dame‹. Auch bei verschiedenen Fachzeitschriften waren seine Bilder gefragt. Häufig unternahm er für seine Fotoreportagen ausgedehnte Reisen, Bilder, die er den Fachzeitschriften später verkaufen konnte. Für das Magazin VU fotografierte er gemeinsam mit Brassai 1929 den Eiffelturm, als dieser vierzig Jahre alt wurde. In zahlreichen weiteren Zeitschriften wurden seine Aufnahmen abgebildet, etwa in ›Voilà‹, ›Regards‹ oder ›La France à Table‹.

»In den 20er Jahren hatte Kertész zu den bedeutendsten Fotografen der Pariser Szene gezählt. Henri Cartier-Bresson nannte ihn ›meine poetische Quelle und machte deutlich, das Kertész‘ Arbeiten viel zur Entwicklung der modernen Fotografie‹ beigetragen hatten.« (Westerbeck, 1998, S. 641)

Als sich die politische Lage 1936 in Frankreich zuspitzte, verließ Kertész Paris und ging nach New York, wo er für diverse Nachrichtenmagazine, Mode- und Freizeitmagazine arbeitete. An Ausstellungen beteiligte Kertész sich nur sehr verhalten, vielmehr bevorzugte er die Veröffentlichung seiner Bilder in Büchern. Kertész starb 1985 in New York City und vermachte seine umfangreichen Bildbestände dem französischen Staat.

Text: © Fotografie | Dieter Johannsen

Literaturhinweise

Abbildung

  • Grafik: © Dieter Johannsen