Die Bedeutung des Fotografen Brassaï (Gyula Halász)
Wie ein dunkler Monolith und fast ein wenig verloren überragt der gewaltige, hoch aufgeschossene Turm das Viertel von Paris mit dem Namen ›Quartier Montparnasse‹. Gemeint ist der Wolkenkratzer ›Tour Montparnasse‹, der mit seinen 209 Metern seit 1972 das höchste Gebäude der Stadt ist. Von dort aus entfaltet sich das ganze Panorama des Viertels, mit seinen vielen Cafés, Bars, Restaurants, Brasserien und Bistros. Hierhin zog es einst viele Künstler, Intellektuelle, Musiker, Fotografen und Schriftsteller, die dem Montmartre – der sich immer mehr zum Vergnügungsviertel wandelte und den man sich aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten nicht mehr leisten konnte – den Rücken kehrten, um im Montparnasse preiswerter leben zu können. Auch den Fotografen Brassaï , der als Maler und Journalist arbeitete, zog es 1924 ins Quartier Montparnasse. Bereits als vierjähriger lebte Brassaï einige Zeit in Paris, da sein Vater zu jener Zeit an der Sorbonne unterrichtete – einem ehrwürdigen Gebäude im Pariser Quartier Latin aus dem Jahre 1250. Für Brassaï war dies damals der erste Kontakt mit der Stadt, den er in den folgenden Jahren nicht mehr vergessen sollte.
Um 1930 wurde er von seinem Freund André Kertész in die Feinheiten der praktischen Handhabung der Fotografie – die Brassaï, der von Beruf eigentlich Maler war, zunächst nicht sonderlich ernst genommen hatte – eingeweiht. Also kaufte er sich schließlich eine Kamera, um seine für das Pariser Nachtleben empfundene Faszination in seinen Bildern umsetzen zu können, die später seinen Ruhm begründen sollten.
»Ich hatte einen verschwenderischen Reichtum von Eindrücken ans Licht zu bringen, die in den langen Jahren meiner nächtlichen Spaziergänge nie aufgehört haben, mich zu verlocken, zu verfolgen, ja heimzusuchen« (LIFE, Große Photographen, 1978, S. 169).
Die Menschen des Montparnasse ließen Brassaï nicht mehr los. Nacht für Nacht durchstreifte er den Montparnasse. Auf das Klicken seiner Kamera achteten die Bewohner längst nicht mehr. In diesem Viertel konnte Brassaï den größten Teil seiner Motive finden. Magisch angezogen fühlte er sich von den versteckt liegenden, kleinen Parks, von den ausdruckslosen und gelangweilten Dirnen, den Zuhältern, den verloren wirkenden alten Menschen und Herumtreibern. Brassaï wurde schließlich als der ›Fotograf des Montparnasse‹ bekannt. Sein erstes Buch erschien 1933 mit dem Titel ›Paris de Nuit‹, das ihn buchstäblich über Nacht berühmt machte.
»Ich erfinde nichts. […] Ich habe niemals nach Motiven gesucht, die in sich exotisch oder sensationell sind. Meistens habe ich meine Bilder aus dem täglichen Leben um mich herum bezogen. Ich glaube, dies ist die aufrichtigste und bescheidenste Erfassung der Wirklichkeit, durch die das alltäglichste Ereignis zum Außergewöhnlichen führt« (The George Eastman House Collection, 2012, S. 535).
Text: © Fotografie | Dieter Johannsen
Literaturhinweise
Abbildung:
- Grafik: © Dieter Johannsen