Leitbilder

Werbung erzeugt Leitbilder

Packard gelangt zu einer ähnlichen Einschätzung. Er sieht das wesentliche Ziel der Werbung, Leitbilder zu erschaffen, die vor dem »inneren Auge« sofort auftauchen, wenn der Produktname erwähnt und die Zielgruppe erst einmal entsprechend konditioniert sein würde. Dieser Leitbildgedanke wurde in den fünfziger Jahren für die Werbung vor allem deshalb dienstbar gemacht, weil aufgrund der zunehmenden Vereinheitlichung und Kompliziertheit der Bestandteile bei den meisten Produkten, sich diese einer vernünftigen Unterscheidung entzogen. So hat man beispielsweise dreihundert Rauchern drei bekannte Zigarrettenmarken mit verdecktem Aufdruck zu rauchen gegeben, unter denen sich jeweils die Marke befand, auf die die Testpersonen eingeschworen waren. Nur 35 v. H. machten ›ihre‹ Marke ausfindig, wobei ein Drittel der Probanden einfach geraten hat. Ähnliche Resultate wurden mit Bier- und Whiskytrinkern erzielt. Packard zitiert einen Markforscher:

»Die Leute sind ihrer Zigarettenmarke ungeheuer treu und können sie bei Tests trotzdem nicht unterscheiden. Sie rauchen allesamt eine Vorstellung.«146

Längst ist das Reklamebild nicht mehr lediglich eine geschickte Aneinanderreihung der Vorzüge des Produktes. Vielmehr obliegt es dem Werbefotografen, gewissermaßen eine unlogische Situation zu schafften: Der Konsument soll sich in ein Produkt verlieben und ihm unverbrüchliche Treue bewahren, obwohl es dem Gehalt nach Hunderten von Konkurrenzprodukten ähnelt. Zwangsläufig also, so Lagneau, muss sich der Werbephotograph einer Praxis unterordnen, die nicht seinen eigenen Intentionen entspringt. Wenn es beispielsweise fünfzehn verschiedene Arten gibt, ein Parfüm zu fotografieren, so hat sich der Fotograf für diejenige zu entscheiden, die den Verkaufsinteressen der Auftraggeber am förderlichsten sind. Da der Werbefotograf nicht das verkauft, was er fotografiert – das Produkt – sondern die Fotografie als solche, muss er einander widerstreitende Bedeutungen in seine Arbeit einbauen und einen annehmbaren Kompromiss schließen zwischen der fotografischen Realität, d.h. der Authentizität des Dargestellten und dem Symbolgehalt des Produktes, der schließlich zum Kauf bewegen soll. Der Fotograf muss gleichsam zwei Funktionen in einem Bild zusammenfügen: vorführen, mittels realistischer Gehalte und verführen, indem Symbole eingebaut werden, die geeignet sind, Leitbilder zu formen. Um diese unterschiedlichen Funktionen in einem einzigen Bild unterzubringen, macht der Werbefotograf sich die vielfältigen gesellschaftlichen Gebrauchsformen zunutze, die von der Fotografie gemacht werden. Ein Architekt beispielsweise, der von jedem Bauabschnitt Fotografien anfertigen lässt, gebraucht sie zum einen als objektives Zeugnis eines technischen Prozesses, zum anderen erfüllen sie eine Funktion, die der von Familienfotos vergleichbar wäre: sie haben Erinnerungscharakter und sind zudem überdauernde Zeichen eines feierlichen Augenblicks.

Lagneau weist darauf hin, dass – bei aller Gegensätzlichkeit – die Forderung nach informativer Darstellung auf der einen und die maximale Symbolisierung des Gegenstandes auf der anderen Seite, sich der Werbefotografie gleichermaßen gebieterisch aufdrängen. Zwischen diesen beiden Forderungen lässt sich allenfalls eine Kompromiss schließen, ganz verzichten kann der Fotograf jedoch weder auf die informative noch auf die symbolisierende Darstellung.147

Dass die Werbefotografie unter bestimmten Umständen dennoch vollständig auf den informativen Text verzichten kann, nämlich dann, wenn der Konsument, einem Pawlowschen Hund gleich, erst einmal abgerichtet ist, macht Packard in einem interessanten Beispiel deutlich:

»David Ogilvys Werbefirma ersann für eine bekannte Hemdenmarke ein höchst erfolgreiches, nicht die Vernunft ansprechendes Symbol – einen schnurrbärtigen Mann mit schwarzer Augenklappe. Bald wusste das Publikum, dass jeder Mann mit schwarzer Augenklappe ein Hathaway-Hemd tragen müsse. Um sein Vertrauen in die Macht der Bildersprache zu beweisen, ließ Mr. Ogilvy in Zeitschriften wie dem ›New Yorker‹ kostspielige ganzseitige, farbige Inserate erscheinen, die kein einziges Wort Text, nicht einmal das Wort Hathaway enthielten. Es wird nichts als das Bild eines Mannes gezeigt. Er stand am Fernrohr einer Sternwarte und machte Notizen. Er hatte einen Schnurrbart. Er trug ein lebhaft kariertes Hemd. Und er hatte eine schwarze Augenklappe. Der Verkauf von Hathaway-Hemden blühte.«148

Jedes Produkt, dies scheint uns die wichtigste Erkenntnis der von Packard vorgenommenen Untersuchung zu sein, ist mit spezifischen sozialen Bedeutungen ausgestattet. Das Konsumgut unterstützt, fördert oder verkörpert gewissermaßen das jeweilige Charakterprofil des Konsumenten. Beispielsweise wendet sich die Zigarettenmarke ›Marlboro‹ an den betont kantigen, männlichen Mann, an den Hasardeur und Draufgänger, während sich ›Stuyvesant‹ an den mittelständischen Raucher richtet, der weltoffen, weitgereist, neugierig, risikofreudig und der Technik gegenüber aufgeschlossen ist. Als symbolträchtiges Attribut wird dem Werbebild häufig ein Düsen-Jet oder ein Helikopter zugefügt und mit den Begriffen ›Entdecken‹, ›Fortschritt‹, ›Ziele‹ und ›Mut‹ versehen.149

Ein anderes Charakterprofil läßt sich für die Zigarrettenmarke ›Camel‹ ausfindig machen. Hier soll sich der männliche, kräftige und einfache Arbeiter angesprochen fühlen,150 ›Cortina‹ dagegen richtet sich in erster Linie an den weiblichen Raucher.151
Besonders erfolgreich bei der Schaffung von Leitbildern war zweifellos die Automobilindustrie. So wird das Auto in den Werbebildern längst nicht mehr als bloßes Beförderungsmittel vorgestellt: vielmehr ist es zum beweglichen Symbol der Persönlichkeit und überdies zum sichersten Mittel geworden, die soziale Stellung des Käufers nach außen zu dokumentieren.152
In seinem Auto soll sich der Käufer fühlen als Mensch, der er ist oder sein möchte. Packard beschreibt einige typische Leitbilder für Besitzerprofile, die von der amerikanischen Automobilindustrie den jeweiligen Fahrzeugtypen zugeteilt werden:

»Cadillac: ›Stolz . . . großspurig . . . Kaufmann . . . in den mittleren Jahren . . . gesellschaftliche Beweglichkeit . . . gute Einkommensstufe . . . verantwortungsbewußt‹

Ford: ›Schnelligkeitsteufel . . . gutes Einkommen . . . junger Mann . . . stolz . . . obere Mittelklasse . . . fährt zur Arbeit . . . praktisch‹

DeSoto: ›Konservativ . . . verantwortungsbewußt . . . Hausmütterchen . . . gehobener Mittelstand . . . gutes Einkommen . . . stolz‹

Studbaker: ›Gutaussehend . . . Angeber . . . intellektuell . . . stolz . . . beweglich . . . im freien Beruf . . . junger Mann‹ «153

Freilich wäre der Abnehmerkreis einer auf Massenabsatz eingestellten Produktion zu eng, beschränkten sich die Werbeaufnahmen einer bestimmten Automarke nur auf eine einzige Persönlichkeitsgruppe. Deshalb symbolisiert die Werbeaufnahme außer gruppenspezifische Persönlichkeits-Diagramme in der Regel zugleich, dass es sich um ein für jeden Käufer geeignetes Produkt handelt. Damit aber die verschiedensten Konsumenten den dargestellten Wagen als den »ihren« betrachten können, müssen eben auch die verschiedenen Leitbilder des jeweiligen Wagencharakters zur Geltung gebracht werden. Insofern ist die Werbung Symbolmultiplikator.154 Wenn etwa ein neuerer ›Fiat‹-Werbetext, in dem für einen Kleinwagen geworben wird, lautet: »Was sagt Ihr Sohn denn jetzt zu Ihnen, wo Sie den großen Wagen verkauft haben?« »Er sagt weiter Papa zu mir,«155 dann soll wohl bedeutet werden, dass sich der potentielle Käufer ja angesichts vorhandener Krisenphänomene und beschränkter Ressourcen lediglich einer neuen Moral einfügt und infolgedessen eine Beeinträchtigung seiner gesellschaftlichen Reputation nicht zu erwarten ist.